Wer gewinnt? Wenn man mit einem nagelneuen Super-SUV wie dem KIA EV9 zu einem ebenso nagelneuen Spitzenhotel wie der Postresidenz amSee nach Arosa fährt, dann muss man auch einen Vergleichstest machen. So einen knallharten. Oder? Macht doch jeder! Nein? Niemand macht das? Was? Dann wird es höchste Zeit! Auto vs. Hotel. Gute Unterhaltung.
TEXT Thomas Senn FOTOS Thomas Senn, Postresidenz am See | WALTER MAGAZIN
Hoffentlich ist mein Zimmer in Arosa grösser als der KIA. Das war mein erster Gedanke, als sich der gigantische KIA EV9 GT-Line vordem Antritt der Dienstreise in die Schweiz vor mir aufgetürmt hatte. Ich hatte nämlich ganz sicher schon Hotelzimmer, die sich im KIA verstecken hätten können. Also los mit dem neuen elektrischen Luxus-Flaggschiff der Koreaner zum neuesten Luxus-Hotel am Obersee in Arosa.
Wobei, da geht es ja eigentlich direkt schon los mit dem Vergleichstest. Der KIA muss mit seiner nominellen Reichweite von 505 Kilometern also zur Postresidenz am See kommen, weil sich die Postresidenz nicht einen einzigen Meter vom See wegbewegen wollte. Aber verständlich: Bestlage in Arosa gibt man nicht auf. Der 1. Punkt geht trotzdem klar an den KIA.
Beim ersten Aufeinandertreffen der beiden Granden in Arosa geht es direkt um das Design. Wow. Wie schön ist bitte dieses Hotel? Beide sind in ihren Bereichen mutig gestaltet, sowohl die Postresidenz als auch der KIA fallen in ihrem natürlichen Lebensraum mit ungewohntem Design aus dem Einerlei-Rahmen. Und das durchaus positiv. Beide setzen auf einen asymetrischen Mix aus Kanten und Rundungen, beide haben ein modernes Schriftbild, hier kann es keinen Sieger geben. Beide besonders, Punkt für beide.
Gehen wir rein, wir wollen ja schliesslich wissen, ob das Zimmer grösser ist, als das über fünf Meter lange Super-SUV (Nachricht an Wikipedia: Super-SUV ist von mir). Da wir beim Aussteigen mit einer allgemeinen E-Auto-Problematik konfrontiert wurden (wann ist das Auto an, wann ist es aus, warum kann das kein Hersteller anständig eindeutig machen, warum sind immer Bildschirme an, egal ob an odergerade aus?), stiessen wir auf ein Anwender-Problem der KIA-Türgriffe. Auto an: Türgriffe weg! Man kann also nicht maleben an der hinteren Tür vom Rücksitz seine Tasche holen und dem Hotelpersonal in die Hand drücken. Die Türgriffe fahren nur aus, wenn auch das Auto aus ist. Dachten wir. Nach zwei Tagen haben wir aber einen Knopf gefunden, der die Türgriffe auch von innen freigibt. Unser Fehler, richtige Griffe wären trotzdem richtiger. Wie beim ersten Kontakt mit der Tür des Hotelzimmers: wundervoll. Massiver und schön geschwungener Designer-Edelstahlgriff an feist dicker Vollholztür. Den ganzen Tag griffbereit. Hier fühl ich mich zuhause. Punkt für die Postresidenz. Punkt.
Jetzt wird es für das Auto ein bisschen ungerecht: da das Hotel dem Herrn Verleger und mir nicht wie angekündigt zwei Einzelzimmer verordnet hat, sondern eine gemeinsame Pracht-Suite, ist der Grössenvergleich für den KIA trotz all seines Bemühens sehr offensichtlich verloren. Gegen opulente 67 qm ist nichts zu holen, so sehr man den EV9 auch gestreckt hat. Wieder ein Punkt fürs Hotel.
7 zu 7 Sitze
Überprüfen wir direkt die Sitzplätze. Das Hotel bietet grosszügige fünf am Esstisch und zwei auf der feinen Couch. Der KIA hat fünf Sitze in den ersten beiden Reihen und noch mal eine Zweierbank zum Hochklappen aus dem 828-Liter-Gigantenkofferaum (der auch nach dem Aufstellen der dritten Reihe immer noch ein handelsüblicher SUV-Kofferraum bleibt oder nach dem Umlegen aller Sitze auf stadioneske 2.318 Literanwachsen kann). Aber es geht um die Anzahl: 7 zu 7 Sitze, Punkt für beide.
Kofferraum war schon angesprochen: es passen in beide Luxus-Kontrahenten mehr Koffer als ich habe und mir von Freunden oder Nachbarn noch leihen könnte. Auch hier ein Unentschieden.
Der Türen vergleich geht ans Zimmer: Eingangstür, zwei Bad türen, zwei Schlafzimmertüren und eine Balkontür (die Angaben gelten für das Zimmer). 6 gegen 5 des KIA, das war knapp.
Bei Fenstern hingegen zieht der EV9 die Suite in der Postresidenz klar ab. Drei im Zimmer müssen sich acht plus Panoramaglasdoppeldach des KIA beugen. Auch wenn die teils bodentiefen Fenster des Hotels viel grösser sind: Punkt für den KIA, mehr ist mehr. Und gleich noch einen Extrapunkt fürs Auto hinterher: selbst wenn man von unserer Drei-Raum-Suite eine wundervolle Aussicht auf halb Arosa und den ganzen Obersee hatte: vom KIA aus kann man die ganze Welt sehen, wenn man hinfährt. Also Doppelpunkt.
Im Materialienvergleich bietet der KIA lackiertes Blech, Lederartiges, Kunststoff, Gummi und Glas. Die Postresidenz hält mit Massivholz, teuren Fliesen, Keramik, Glas und dickem Stoff dagegen. Warmes Holz schlägt kühles Blech, Wohlfühl-Punkt fürs Hotel.
Beim E-Entertainment schlägt der KIA das Hotel mit Anlauf. Ja, der Fernseher des Hotels ist monumental grösser als der Bildschirm im KIA, dafür hat der EV9 mehrere und zeigt darauf allerlei mehr an. Natürlich wie bei jedem E-Auto ein Haufen unnützes, verwirrendes und ablenkendes Zeug, aber das ist ja bei Fernsehprogrammen weiss Gott nicht anders.
Ausserdem klingt die 14-Lautsprecher-Anlage im KIA erwartungsgemäss unterhaltsamer als der schon sehr gute Zimmer-Fernseher, und der Wagen zeigt mit seinen Kameras auch den schwersichtigen Menschen nochmal die Umgebung, denen die acht Fenster partout nicht auszureichen scheinen.
Beim Thema Beleuchtung würde ich ein Unentschieden vergeben. Ja, das Dual-LED-Licht des KIAs ist um Tage heller als das in der Postresidenz, aber dort verbreiten es die schöneren Lampen angemessen gedimmt. Insbesondere im Treppenhaus (warum hat der KIA bei dieser Grösse eigentlich nicht auch ein Treppenhaus?) hängen wunderschöne Designer-Leuchten. We like!
Das Thema Verköstigung ist ein Homerun für die Postresidenz. Selbst wenn wir das hervorragende und hauseigene Restaurant Luftpost aus der Wertung herauslassen würden, dann hat die Suite immer noch eine geschmackvolle Küchenzeile mit Spülmaschine, Waschmaschine, Herd und Kaffeemaschine. So gross der Innenraum des EV9 auch ist, so viele Steckdosen und Räumlichkeiten er für Kaffeemaschinen und E-Herde auch anbieten würde: er hat sie einfach nicht dabei, so bleibt es bei der Butterbrezel auf den Knien, Thermobechern in den Haltern und einem Punkt fürs Hotel.
Wellnessbereich. Hier wird es schwierig. Drei tolle Saunen mit unterschiedlichen Temperaturen bis zu 85 Grad bietet die Postresidenz. Das wird für den KIA selbst mit geschlossenen Fenstern nach acht Stunden in der Sommersonne nur schwer zu erreichen sein. Und auch wenn im Heck des KIAs selbstverständlich Platz für einen Whirlpool wäre, er hat ihn einfach nicht. Knapper Punkt fürs Hotel.
Ein-Stopp-Strategie
Stromverbrauch müssen wir aussetzen, bis im Frühjahr ́25 dieJahresendabrechnung des örtlichen Stromanbieters des Hotels reinflattert. Wir sind aber ziemlich sicher, dass dieser Punkt dann ans Zimmer gehen würde. So viel Strom kann man selbst mit allen Lampen an nicht verbrauchen. Auch wenn uns der KIA wirklich überrascht hat, wie entspannt man damit vorankommt. Ein einziger kurzer Stopp auf der Strecke von Arosa zurück in die Redaktion nach Erfurt. 99,8 kW/h-Batterie, 800-Volt-Technik und Bergabfahrten machten es möglich. Aber erstmal ausser Wertung.
In Sachen Sitzkomfort macht dem KIA kein Hotel was vor, nichtmal in Arosa. Es gibt eine Liegesitzfunktion für Fahrer und Beifahrer mit Ventilation, Massage (ok, die gibt’s im Hotel sogar von Menschen) und ausfahrender Unterschenkelauflage (die Liegesitzstellung für die Beifahrerseite kann übrigens creepy vom Fahrersitz aus aktiviert werden: „Schätzelein, mach es Dir doch schon mal gemütlich und schlüpf in was Bequemes.“), gegen die das beste Designer-Sofa nicht ankommt.
Selbst auf den Rücksitzen lassen sich die Lehnen zur Liegefunktion zurückfahren. Alternativ könnte man sich auch noch ausgestreckt in den Kofferraum legen, sicher zu dritt nebeneinander und zu viert übereinander. EV9 macht den Punkt.
Nun kommen wir zum Preis. Hmm. Wie rechnet man das? Tageweise? Da geht der Punkt sehr sicher an den KIA. Wahrscheinlich lässt er sich mit anderthalb Übernachtungsraten einen Monat lang leasen. Auch beim Kauf ist der teuerste und luxuriöseste KIA aller Zeiten mit zwar beachtlichen 72.490 Euro (unser GT-Line ab 82.380 Euro) keine allererste Wahl für Leichtlohnempfänger, trotzdem bekommt man für das Geld keine Suite in der Postresidenz gekauft (Suiten-Kauf), wahrscheinlich nicht mal eine Garage in einem Schweizer Industriegebiet. Punkt für den KIA.
Wer gewinnt?
Bevor wir zum Zusammenzählen kommen, noch ein paar gefühlte Eindrücke. Beginnen wir mit dem KIA. Man wird darauf angesprochen. Die Menschen haben ihn noch nie gesehen, fühlen sich aber selbst im Autoparadies Arosa von ihm angezogen. Weil er so gross ist? Ja. Weil er soviel Platz hat? Ja. Weil er ein ungewohntes Design hat? Ja. Weil er trotz seiner 2.700 Kilo dank der 385PS mit 700 Nm Drehmoment und Allradantrieb losschiesst, wie ein Federsteg beim unsachgemässen Wechsel eines Schweizer Uhrenarmbands? Ja. Man ist erstaunt über den vollzählig angetretenen Luxus im Wagen, wenn gleich dieser neuerdings anscheinend international befohlene Weissanteil im Interieur nicht hätte sein müssen. Nicht auf den Sitzwangen und schon gar nicht auf dem Schlüssel (der übrigens mehr Tasten und Schalter hat als das Zimmer). Ob Europa der Markt ist für dieses Super-SUV? Lassen wir uns mal überraschen. Eine Alternative dazu gibt es aktuell jedenfalls von Niemandem. Alternative Hotels gäbe es in Arosa hingegen theoretisch jede Menge. Es gibt so viele Betten wie Einwohner. Die Postresidenz am See hat aber die modernsten. Alles gerade erst neu. Feines Haus, wirklich. Und liebevoll und engagiert betrieben von einem ungewöhnlich jungen Hotelierpaar. Was man auch im positivsten Sinne wahrnimmt. Viele Dinge hätte man so oder so machen können, die Consanis haben sich zusammen mit den Besitzern aber immer pro Qualität und pro modernem Design entschieden. Ein schöner Materialmix mit sehr zeitgemässen Details. Die Suiten kann man mieten oder kaufen. Am Wochenende der Arosa Classic ging ein solcher Kauf eines begeisterten Gastes aus Sylt auch direkt über die Bühne. Ihm gefiel es dort. Sehr. Uns auch. Sehr sehr sogar. Wir sind garantiert keine Doppelzimmer-Übernachter (wer will denn bitte mit seinem Chef oder gar mir in einem Hotelzimmer übernachten?) ,aber ganz ehrlich: easygoing. Die massiven Holztüren schaffen nicht nur Gemütlichkeit, sie radieren auch Schnarchgeräusche aus. Wer das war? Verraten wir nicht.
Kommen wir zum Ergebnis (und ich schwöre, ich habe während des Schreibens nicht mitgezählt oder mir gar von vornherein so einen salomonischen Unentschiedenunsinn ausgedacht, damit keiner beleidigt ist). Aber: es ist 10 zu 10 ausgegangen. Verflixt. Wir waren also doch keine Hilfe bei Ihrer Entscheidungsfindung, ob Sie nun einen KIA EV9 kaufen sollen oder in der Postresidenz am See einen Urlaub buchen. Das tut uns leid. Das müssen Sie nun selbst entscheiden. Wir haben uns redaktionsintern auch entschieden. Einer fürs Auto, einer fürs Hotel. Auch keine Hilfe? Ja meine Güte, dann probieren Sie halt Beides.